In der Betriebswirtschaftslehre, aber auch gefühlt, hat Produktivität immer etwas mit dem Nutzen der zur Verfügung stehenden Zeit zu tun. Wir müssen und wollen unsere Zeit produktiv nutzen – und das ist ja auch richtig und gut so. Wir sollten uns nur fragen, ob die Ökonomie des Zeiteinsatzes tatsächlich das richtige Maß ist.
Wenn ich eine Maschine betreibe, die irgendwelche Teile ausstanzt, dann scheint die Frage nach der Menge pro Minute oder Stunde oder Tag irgendwie Sinn zu ergeben. Je mehr Teile in dem Zeiteinsatz gestanzt werden, umso produktiver ist die Maschine. Vor allem aber, wenn ich die Produktivität der Maschine kenne, kann ich deren Betriebs- und Anschaffungskosten auf die Stückkosten der Arbeit umlegen. Und ich kann bestimmen, nach wie vielen Betriebsstunden sich die Anschaffungskosten der Maschine amortisieren. Das ist ein guter Grund, warum Menge pro Zeiteinheit eine beliebte Kennzahl ist, anhand derer eine Organisation bemessen wird.
Wenn eine Organisation nun aber feststellt, dass ihr Time-To-Market zu groß ist, die Produktqualität zu niedrig, die Mitarbeitenden demotiviert und die Innovationskraft verloren geht, dann kann der Blick auf die Produktivität nicht nur kontraproduktiv sein, sondern sogar einer Auslöser für den gefährlichen Zustand der Organisation. Warum? Weil in vielen Organisation häufig nicht die Maschinen für Verzögerungen sorgen, weil es nicht die Maschinen sind, die neue Produkte erfinden und weil es nicht die Maschinen sind, die sich überlegen, was da denn überhaupt so ausgestanzt werden soll. Das machen die menschlichen Ressourcen. Wenn man ein Werkstück von Anfang bis Ende verfolgt, also von Auftrag bis Lieferung, von Idee bis Leistung, dann wird man in den allermeisten Fällen zwei Dinge feststellen. Erstens: in der meisten Zeit wird an dem Werkstück gar nicht gearbeitet. Die längste Zeit verbringt es mit Liegen und Warten, dass endlich Kapazitäten frei werden, um es zu bearbeiten. Und zweitens: dieses Warten passiert nicht nur vor der Maschine, sondern auch vor den Designern, den Ingenieuren, den CAD Leuten, den Juristen und so weiter. Dh. in dem ganzen Prozess der Planungs- und Gestaltungsarbeit, wartet das bislang nicht fertig gedachte Werkstück darauf, dass es jemand weiter denkt. Der Großteil der Arbeit ist somit Wissensarbeit – geht es um Innovation, dann sowieso.
Und in der Wissensarbeit setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass weniger tatsächlich mehr ist. Was sind denn die Kapazitäten in der Wissensarbeit? Das sind doch die zur Verfügung stehenden Gehirne. Wenn meine wichtigsten Kapazitäten, also aus Gehirnen, bestehen, dass sollte ich mich an eine einfache Grundregel – sozusagen artgerechte Hirnhaltung – halten: Gehirne können nicht multi-tasken. Je mehr Aufgaben Gehirn gleichzeitig bearbeiten soll, umso langsamer wird es. Je mehr Autos ich auf die Autobahn lasse, umso langsamer fließt der Verkehr – bis zum totalen Stillstand. Ein Auto kann einfach fahren, zehntausend Autos können nur die Nummernschilder der Autos vor ihnen lesen. Es ist also absolut sinnvoll, die Zahl der gleichzeitig zu bearbeitenden Werkstücke zu begrenzen. Damit stelle ich sicher, dass sie auch in einer angemessenen Zeit geliefert werden können.
Die Begrenzung der zu bearbeitenden Werkstücke widerspricht jedoch fundamental dem oben genannten Prinzip der Produktiv. Wenn ich Arbeit limitiere, um die zur Verfügung stehenden Ressourcen besser zu nutzen, dann werden im klassischen KPI die Stückkosten steigen. Das ist nicht schlimm – man muss es nur wissen. Aus genau diesem Grunde ist es unumgänglich, bei allen New Work oder Agile Initiativen das Controlling in die Transition einzubeziehen. Controlling liefert die Daten, die man braucht, um den Erfolg einer Maßnahme zu bemessen und muss gleichzeitig die Veränderung der relevanten Reports begleiten.
In der Wissensarbeit kann man mit Produktivität nach klassischer Lesart nichts anfangen. Wenn wir besser werden wollen, sollten wir also sehr genau wissen, ob wir schneller mehr vom Alten machen, oder ob wir Neues ausprobieren wollen. Design, Idee und Innovation sind die Treiber einer modernen Wirtschaftsordnung. Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir produzieren oder innovieren, stehen wir auf der „Designed By“- oder auf der „Manufactured in“-Seite? Wenn wir Designer sein wollen, müssen wir Produkte exponentiell denken, mit Technologien arbeiten, die noch keine Realität sind, und Dinge ausprobieren, um schnell zu lernen. Produktivität ist da das falsche Maß – Innovationskraft das richtige!
Hallo Andreas,
vielen Dank für diesen Artikel. Mit diesem Problem sehe ich mich auch seit einiger Zeit konfrontiert. Irgendwie ist unser Denken im aussteuern von Maschinen hängen geblieben.
Was aber wäre, wenn man statt der normalen Maschinen plötzlich selbst denkende, sich vernetzende Maschinen hätte? Würde man diese dann auch einzeln aussteuern, oder darauf setzen, dass sie selbst denken, um die ihnen übertragenen Aufgaben zu erledigen, sodass möglichst wenig Steuerung und Eingriffe möglich sein sollten?
Würde man ihnen Raum geben, dass sie ihre Algorithmen optimieren können? Dass sie sich austauschen und voneinander lernen? Oder würde man sie trotzdem zu 100 % auslasten? Ich glaube kaum.
Wie würde man hier die „Produktivität“ messen wollen? Erledigte Arbeit oder eher den Grad der Arbeit, den sie selbstständig übernehmen können? Würde man von solchen Maschinen nicht erwarten, dass sie nachfragen, wohin wir mit unserer Unternehmung gehen wollen, damit sie eigene Strategien entwickeln können, wie sie am besten zu diesem Ziel beitragen können?
Und doch verhalten wir uns (allgemein gesprochen) bei Menschen nicht so.
Vielleicht ist es das fehlende Vertrauen, der Kontrollverlust gegenüber dem unberechenbaren Mensch…
Ob flussbasiertes Arbeiten, New Work oder Agilität - entscheident ist, dass man ein klares Businessziel definiert. Auf dieses muss das gewählte Vorgehen einzahlen. Das Schlimmste ist, wenn die Methode selbst zum Ziel wird.
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