Diese Frage wird mir immer wieder gestellt – ich suche einen Agile-Coach, aber woher weiß ich, dass ich tatsächlich die Richtige habe? Es gibt eine kurze und eine etwas längere Antwort auf diese Frage. Die kurze Antwort lautet: Du weißt es nicht und musst es ausprobieren. Klar sollte in den Vorgesprächen die Chemie stimmen und wenn Du Empfehlungen gehört hast, ist das auch ein starkes Signal – aber eben keine Garantie. Du musst es ausprobieren.
Zum Glück gibt es aber auch eine längere Antwort. Die längere Antwort – meine Antwort – setzt etwas weiter vorn an, nämlich bei der Frage, was Du mit der Person eigentlich erreichen willst. Was genau ist Dein Ziel? Einführung agiler Methoden? Schaffung selbstorganisierter Teams? Auf Teamlevel oder im Top-Management? Ein Team, eine Abteilung, Squad, Tribe, Schwarm? Wen auch immer Du Dir in die Organisation holst, sie sollte mit Dir ein Vorgehen ausarbeiten können.
1. Der Weg muss sich dem Gelände anpassen
Wenn sie bereits eine Lösung zu Hand hat, solltest Du vorsichtig sein. Es geht um Deine Organisation, die ist einzigartig und individuell. One-Size-Fits-All bedeutet häufig, dass sich die Organisation der Lösung anpassen muss. Willst Du eine stetige Transition, ein Vorgehen, dass Deine Organisation zyklisch verbessert, oder willst Du den Big-Bang – einmal alles umbauen und dann neu starten? Glaubst Du, dass letzteres in Deiner Organisation funktioniert? Wir brauchen also eine Beraterin, die uns helfen kann das Gelände zu erkunden und die Landkarte zu zeichnen. Wir brauchen einen Interventionsplan.
2. Führen durch Fragen
Der Begriff des Coaching wird etwas schwammig benutzt und ist nicht ganz eindeutig definiert. Prinzipiell handelt es sich beim Coaching um eine Beratungsmethode, die die Mandanten im Finden eigener Lösungen unterstützt. Diese Beratung reicht von Selbstreflexion, über Umgang mit Konflikten, bis zur Bewältigung von Führungsaufgaben. Coaching wird oft als Führen durch Fragen beschrieben. Ich frage mich aber, ob das tatsächlich reicht und alles ist, was wir brauchen, um Organisationen zu verbessern. Denn ganz ehrlich, wenn wir agile Methoden oder LEAN oder sonst was einführen wollen – wir wollen die Organisation verbessern und haben uns das Gelände gut angeschaut – dann können wir nicht auf bestehendes Wissen zurückgreifen. Die Lösung für unser Problem liegt nicht in uns. Wir müssen erst lernen. Wir brauchen also einen Trainer, der uns gezielt das notwendige Wissen vermitteln kann.
3. Auf theoretischem Wissen basierender Pragmatismus
Wer auch immer als Agile Coach auftritt, hat wahrscheinlich in der einen oder anderen Weise eine Coach-Ausbildung durchlaufen. Leider gibt es da keinen Standard. Es gibt Agile Coach Ausbildungen, die umfassen fünf Tage, andere Programme finden im Laufe eines Jahres statt und wieder andere sind eine Spezialisierung im Rahmen eines Psychologiestudiums. Und das ist nur der Coaching-Anteil. Agile Methoden gibt es unzählige – für jeden der unterschiedlichen Anwendungsfälle das passende Werkzeug. Muss mein Agile Coach die alle beherrschen? Wenn nein, welche? Und am besten neben ihrer Ausbildung auch noch rauf und runter zertifiziert sein? Um eine agile Veränderung zu begleiten, muss Agile Coach/Consultant/Trainer mit Sicherheit Pragmatiker sein. Dogmatismus und monothematische Aufstellung helfen nur, wenn ich weiß, dass ich den Coach für ein spitz benennbares Thema brauche. Wenn ich den Weg mit ihr noch erarbeiten muss, ist Dogmatismus kontraproduktiv. Wir brauchen also eine Begleitperson, die ebenfalls offen ist und nicht mit vorgefertigten Lösungen aufwartet – einen echten Guide.
4. Erfahrung
Beratung, Coaching, ja Helfen ganz allgemein, beruht auf Freiwilligkeit. Ich kann niemandem gegen seinen Willen helfen oder gegen ihren Willen coachen. Der Berater muss die Menschen also mitnehmen. Die Beraterin muss den Menschen in der Organisation den Nutzen, die Verbesserung der eigenen Situation aufzeigen. Dafür muss sie als Coach/Consultant/Trainer/Guide die Herausforderungen und Problemlagen der Menschen verstehen. Dafür muss der Coach/Consultant/Trainer/Guide meine Sprache sprechen und es ist absolut ok, wenn er/sie nicht alle Sprachen in der Organisation beherrscht. Manche Berater beherrschen besonders gut die Sprache des Top-Managements, andere sind absolut in der Operativen zu Hause. Wo soll meine Beraterin wirken, welche Sprache muss mein Berater vornehmlich beherrschen? Wie oft hat er bereits solche Interventionen begleitet? Wie erfahren ist sie mit dem Umgang schwieriger Situationen? Würde ich den Berater und die Beraterin um Rat fragen wollen?
5. Kultur, Bauch, Menschen
Der/die richtige Agile Coach muss zur Unternehmenskultur passen. Diese also unterstützen und beflügeln oder eben gerade diametral gegenläufig sein, um ein radikal anderes Konzept aufzuzeigen. Alles ok, sofern ich es vordenke und einen geplanten Effekt damit erzielen will. Unsere Beraterin muss aber auch – und ich bin erstaunt, wie häufig das unterwegs verloren geht – einen Auftrag ausführen und ein Ziel erreichen. Keine Organisation, hoffe ich zumindest, beginnt eine agile Transition ohne ein konkret zu erreichendes Ziel. Und das Ziel lautet nicht: “agil werden“ oder so. Es lautet: “Time-to-Market verkürzen“ oder „Mehr Innovation“ oder dergleichen. Der Berater muss also sein eigenes Handeln stets mit dem unternehmerisch zu erreichenden Ziel in Einklang halten. Beraterische Selbstverwirklichung, divenhaftes Verhalten oder heimliche Planänderungen, weil der Berater die Entscheidungen der Auftraggeber für falsch und diese selbst vielleicht für inkompetent hält, müssen absolut tabu sein. Wir brauchen also einen Berater, der die Kultur der Organisation bereichert, mit der man sich vorstellen kann, mit Spaß zu arbeiten und der offen für den Umgang mit Menschen ist (ja, das halte ich auch für eine Selbstverständlichkeit, aber es gibt erstaunliche Überraschungen).
6. Unabhängigkeit
Es gibt noch eine Anforderung, die ich an einen Agile-Coach stellen würde, die vielleicht erst mal etwas seltsam klingt. Mein (e) agile(r) Berater*in muss wirtschaftlich unabhängig sein. Er darf nicht mich als einzigen Kunden haben und sie darf von mir nicht voll ausgelastet werden. Nur unabhängige Menschen können, auch wenn es weh tut ’nein‘ sagen. Je länger ein Berater in der Organisation wirkt, umso mehr wird er Inventar und umso weniger gewichtig ist sein Wort. Bin ich die einzige Einnahmequelle meiner Beraterin, wird sie beginnen, Konflikte zu vermeiden und Abhängigkeiten zu schaffen. Um eine agile Transition einzuleiten, bedarf einer kulturellen Veränderung. Und kulturelle Veränderung geht nie ganz konfliktfrei vonstatten. Häufig sind von diesen Veränderungen auch die Auftraggeber betroffen, was zu Konflikten zwischen Berater und Auftraggeber führen kann. Das geht nur wertstiftend, wenn die Berater unabhängig sind.
Mein Agile Coach/Consultant/Trainer/Guide muss also gemeinsam mit mir einen Interventionsfahrplan erstellen. Woran kann man sinnvoll arbeiten? In welcher Reihenfolge gehen wir vor? Wer ist betroffen?
Mein Agile Coach/Consultant/Trainer/Guide ist in der Lage Wissen aufzubauen, zu vermitteln, zu verankern und nutzbar zu machen. Welche Trainingsformate nutzen wir? Wie schneiden wir die Gruppen? Wie ist das didaktische Vorgehen?
Mein Agile Coach/Consultant/Trainer/Guide ist Pragmatiker*In. Wie viel Theorie braucht die Organisation? Wie können wir anfangen? Wie bringen wir die Menschen ‚in’s tun‘?
Mein Agile Coach/Consultant/Trainer/Guide verfügt über Erfahrung. Sie oder er kann natürlich noch nie genau das Gleiche gemacht haben, dafür sind Organisationen zu unterschiedlich, aber sie/er hat schon viele Transitionen begleitet und freut sich auf ‚das unentdeckte Land‘.
Mein Agile Coach/Consultant/Trainer/Guide steht auf der Bühne in der zweiten Reihe. Es geht nicht um ihn oder sie. Wir suchen keine Superhelden.
Ein guter Agile Coach lässt seine Coachees scheinen und sorgt dafür, dass sie in der ersten Reihe stehen und ihre Erfolge voll auskosten können.
Hallo Andreas,
vielen Dank für diesen Artikel. Mit diesem Problem sehe ich mich auch seit einiger Zeit konfrontiert. Irgendwie ist unser Denken im aussteuern von Maschinen hängen geblieben.
Was aber wäre, wenn man statt der normalen Maschinen plötzlich selbst denkende, sich vernetzende Maschinen hätte? Würde man diese dann auch einzeln aussteuern, oder darauf setzen, dass sie selbst denken, um die ihnen übertragenen Aufgaben zu erledigen, sodass möglichst wenig Steuerung und Eingriffe möglich sein sollten?
Würde man ihnen Raum geben, dass sie ihre Algorithmen optimieren können? Dass sie sich austauschen und voneinander lernen? Oder würde man sie trotzdem zu 100 % auslasten? Ich glaube kaum.
Wie würde man hier die „Produktivität“ messen wollen? Erledigte Arbeit oder eher den Grad der Arbeit, den sie selbstständig übernehmen können? Würde man von solchen Maschinen nicht erwarten, dass sie nachfragen, wohin wir mit unserer Unternehmung gehen wollen, damit sie eigene Strategien entwickeln können, wie sie am besten zu diesem Ziel beitragen können?
Und doch verhalten wir uns (allgemein gesprochen) bei Menschen nicht so.
Vielleicht ist es das fehlende Vertrauen, der Kontrollverlust gegenüber dem unberechenbaren Mensch…
Ob flussbasiertes Arbeiten, New Work oder Agilität - entscheident ist, dass man ein klares Businessziel definiert. Auf dieses muss das gewählte Vorgehen einzahlen. Das Schlimmste ist, wenn die Methode selbst zum Ziel wird.
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