Vollkommen überraschend und ohne jede Vorwarnung, so scheint es, hat das Land Hessen neue Corona-Einschränkungen beschlossen. Das ortsansässige Gymnasium sieht sich gezwungen den Unterricht wieder zu entzerren – die Hälfte der Schüler darf in der einen Woche zur Schule gehen, während die andere Hälfte Home-Schooling betreibt. Und im wöchentlichen Rhythmus wird dies gewechselt. Die Ankündigungen, wie das Home-Schooling ausgestaltet werden soll und die Aussagen der Lehrer meiner Kinder an der Schule haben mich bewogen meine Gedanken der Schulleitung mitzuteilen:
Sehr geehrte Schulleitung, sehr geehrte Verantwortliche,
lange habe ich mich eines Kommentars enthalten, bin nun aber nicht länger bereit mich ob der offensichtlichen Inkompetenz hinsichtlich der Durchführung von remote Schule und Fern-Unterricht in ihrer Einrichtung zurück zu halten.
Während ich dies Schreibe nehme ich an einer 2-tägigen Konferenz teil, die im vergangenen Jahr noch in einer Seminar-Location stattgefunden hat, in diesem etwas anderen Jahr aber neu erdacht werden musste. Ich bin in der Erwachsenenbildung und Organisationsentwicklung tätig und beschäftige mich täglich mit Wissensvermittlung, -vertiefung und -verankerung. Der harte Einschlag (oder Aufschlag) Anfang des Jahres, der bei mir tatsächlich bereits im Januar erfolgte, hat mich, meine Kolleginnen und Kollegen und meine ganze Branche neue Trainings- und Ausbildungskonzepte – technisch wie didaktisch – zu erproben und einzuführen gezwungen. Seit spätestens Mai läuft die Branche virtuell – live online. Und erstaunlicherweise haben sich neue Methoden herauskristallisiert, die denen des Präsenzunterrichts durchaus überlegen sein können – zu nennen sei hier in erster Linie die Nutzung von Asynchronität. Ich möchte nicht falsch verstanden werden – ich sehne mich auch nach Präsenzarbeit zurück, weil auch ich die Interaktion mit anderen Menschen für unersetzbar halte. Aber derzeit ist das einfach keine Option.
Aber es kann doch nicht die Lösung sein, dann einfach nichts zu tun. Ich verstehe (nicht), dass die Schule nach den Osterferien so schlecht auf „home schooling“ vorbereitet war. Sie setzen auf Apple Infrastruktur, können dann aber keine Apple Dokumente öffnen (Pages, Keynote, Numbers). Sie verweisen auf den Einsatz kommerzieller Microsoft Programme (Office) – die Lehrer fordern word Dokumente ein – stellen dann für unter 16-jährige aber keinen Zugang zur Office-Suit zur Verfügung. Damit kann ich leben, dass kann ich kompensieren. Dass Lehrer in Quarantäne keinen Unterricht mehr geben, weil sie von zu Hause einfach nicht angebunden sind, kommt einer Schulschließung gleich. Dass Lehrerinnen von vorne herein maximal 30 Minuten Video-Konferenz pro Woche ohne Bild durchführen wollen, kommt einem intellektuellen Totalbankrott gleich.
Tatsächlich gibt es keinen Grund, warum der derzeitige Stundenplan nicht eingehalten werden sollte. In der 10-ten Klasse ist eine Videokonferenz morgens um 08:00 nicht zumutbar ? – das ist Schulverweigerung gleichermaßen von Lehrern und Schülern. Wie sollen Lehrerinnen und Lehrer, die einfach nicht bereit sind alternative Unterrichtsformen zu erproben – es muss ja nicht perfekt sein – , die sich in den vergangenen 6 Monaten nicht mit modernen Lehrformaten und Distanz-Technologien beschäftigt haben, in einer auf die allgemeine Hochschulreife vorbereitenden Schule, Wissen vermitteln? Oder gar auf ein lebenslanges Lernen vorbereiten? Was sollen unsere Kinder von diesen Lehrern denn lernen – außer den Dingen, die eh im Buch stehen und deren Vermittlung, genau wie nach den Sommerferien, letztlich wieder in die familiäre Eigenverantwortung gedrängt wird.
Selbstverständlich gibt es hochengagierte, großartige Lehrerinnen und Lehrer, die alles für die Entwicklung und das Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler tun. Aber das ist offensichtlich keine Mehrheit, denn sonst würde das remote Schulsystem mehrheitlich funktionieren. Der vergangene Ablauf und das Intro der neuerlichen Durchführung lassen den Verlust eines weiteren Schuljahres befürchten. Vielleicht werden ja danach wieder freiwillige Aufbau- und Stützkurse angeboten…
Derek Bok, Jurist, Pädagoge und ehemaliger Präsident der Harvard University gibt dazu passend einen wunderbaren Ratschlag: „If you think education is expensive, try ignorance“. Bildung kann nur von Menschen vermittelt werden, die sich selbst bilden. Davon nehmen ich seit Monaten schmerzhaft wenig wahr. Erwachsene Menschen können viermal 90 Minuten hochkonzentriert remote arbeiten – und zwar jeden Tag. Kinder können das sowieso – für sie ist das Medium doch eh ein Dauerbegleiter. Wir müssen sie doch nur bitten, es anders zu nutzen. Wenn eine Lehrerin ankündigt 30 Minuten Video-Unterricht alle 2 Wochen anbieten zu wollen, dann schlage ich vor, sie auch nur nach den geleisteten Stunden zu bezahlen. Ich weiß, das ist ein primitiver extrinsischer Motivator, aber intellektuell lässt sich da wohl nichts erreichen.
Unterrichtsinhalte, Schulschließung und Kontaktbeschränkungen liegen nicht in ihrem Einflussbereich. Aber deren Ausgestaltung schon. Unterricht stattfinden zu lassen oder nicht ist eine Entscheidung. Neue Wege zu beschreiten, ist eine Einstellung. Und Kinder kreativ zu unterrichten, ist eine Neigung. Wenn man alles drei nicht oder nicht mehr aufbringen kann, dann muss man sich die Frage gefallen lassen, ob man in dem was man tut, tatsächlich die beste Wahl ist. Oder: die Entscheidung treffen sich selbst zu verändern und die Leidenschaft wieder zu entfachen.
So blöd die heutige Zeit auch ist – sie bietet auch ungemeine Chancen. Nämlich die Chance alte Lehrkonzepte auf den Prüfstand zu stellen und neues auszuprobieren. Wenn eine Unterrichtsstunde online didaktisch mal in die Hose geht, dann wird einem niemand den Kopf abreißen. Von daher möchte ich an alle Lehrerinnen und Lehrer appellieren, die Zeit zu nutzen und Neues zu wagen – sich regelmäßig über ihre Erfolge und Fuck-Ups auszutauschen und gemeinsam zu lernen – damit die Schülerinnen und Schüler wieder was zum Lernen haben.
Ich bin gerne zu einem Erfahrungsaustausch bereit.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Andreas Rein
Ob flussbasiertes Arbeiten, New Work oder Agilität - entscheident ist, dass man ein klares Businessziel definiert. Auf dieses muss das gewählte Vorgehen einzahlen. Das Schlimmste ist, wenn die Methode selbst zum Ziel wird.
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